Geschworene, Gutachter, lange Verhandlungsdauern und die fragliche Unabhängigkeit der Richter – wie fehleranfällig ist unser System?
Gerade ist einer der spektakulärsten Prozesse Österreichs zu Ende gegangen. Der Grazer Amokfahrer Alen R. wurde wegen dreifachen Mordes und 108-facher versuchterTötung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zwei Stunden lang haben die Geschworenen sich beraten. Die Staatsanwaltschaft beantragte, den Täter in eine Anstaltfür geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen. Die Gerichtspsychiater Peter Hofmann
und Jürgen Müller erklärten R. nämlich für schizophren.Psychiater Manfred Walzl attestierte R. zwar eine Persönlichkeitsstörung, aber die habe mit Schizophrenieund Paranoia nichts zu tun. Und dann sprach die Psychologin Anita Raiger. Sie war die letzte Gutachterin, diedie Geschworenen in dem Verfahren hörten, nur kurz,bevor sie sich zur Beratung zurückzogen. Raiger beschreibt Alen R. als kaltherzig, berechnend, gefühllos und überdurchschnittlich intelligent.
Und dann geschah die Überraschung: Die Geschworenengehen vom Antrag der Staatsanwaltschaft ab und erklä-ren R. einstimmig für zurechnungsfähig und geistig ab-norm (Paragraph 21/2). Sie mussten entscheiden, welcheGutachter recht hatten. Walzl und Raiger konnten sie überzeugen. Doch wie leicht können Fehler passieren?
Dass Menschen unschuldig inhaftiert werden und jahrelang die Verbrechen anderer hinter Gittern verbüßen müssen, wissen wir. Wie oft das hierzulande vorkommt, wissen wir allerdings nicht. Der berühmteste Fall in Österreich ist jener von Peter Heidegger: Kurz nachdem er am 10. Juni 1994 als Mörder der Salzburger Taxilenkerin Claudia Deubler zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war, nannte ein Augenzeuge der Polizei ei- nen anderen Täter. Die Gerichte wiesen dennoch alle Anträge auf Wiederaufnahme ab. Erst sieben Jahre später wurde der Fall neu aufgerollt, Heidegger im Jahr 2003 entlassen und der richtige Täter verurteilt. Ein Jahr Nach seiner Freilassung erhielt Heidegger für 2865 Tage hinter Gittern 950.000 Euro, die höchste je in Österreich ausgezahlte Haftentschädigung. Einen Großteil davon musste er allerdings für die angefallenen Verteidigungskosten zahlen.
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