Würdeloses Warten

Das Vorhaben war ein ehrenhaftes. Vor einem Jahr widmeten Experten und Politiker dem Thema „Würde am Ende des Lebens“ vier ganze Tage. Aus der gleichnamigen parlamentarischen Enquete gingen 51 Empfehlungen hervor. Umgesetzt wurde bis dato kaum etwas.

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 7. November 2014, hat die erste von vier Sitzungen stattgefunden. Euphorie und Engagement waren groß. Um transparent zu sein und die Zivilgesellschaft miteinzubeziehen, waren die Sitzungen sogar öffentlich. Bürger konnten daran teilnehmen, auch ein Live-Stream wurde eingerichtet.

Das verfassungsrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen, das soziale Grundrecht auf würdevolles Sterben, der Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sowie einfacher Zugang zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht – diese Themen standen auf der Agenda.

Bei der heiklen Frage der Sterbehilfe gingen die Meinungen weit auseinander. Absolutes Einvernehmen bestand allerdings darin, Hospiz- und Palliativversorgung nachhaltig abzusichern und dementsprechend flächendeckend auszubauen. Im Sinne des würdevollen Sterbens sollte diese Betreuung jedem Menschen, der sie benötigt und beanspruchen möchte, zugänglich sein. Zuversichtlich verließ man die letzte der vier Sitzungen – das war am 23. Jänner 2015.

Die Empfehlungen der Enquete-Kommission wurden einstimmig im zuständigen Ausschuss des österreichischen Parlaments beschlossen. Weitreichend und vorbildhaft, hieß es von allen Seiten. Es handle sich um ein klares Bekenntnis zur Menschlichkeit.

Die Enquete-Kommission hat konkrete Vorschläge zum Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung und deren Finanzierung präsentiert. Alle Fraktionen stimmten damals zu. Unter anderem hieß es darin:

In der ersten Etappe des Hospiz- und Palliativstufenplans sind jeweils rund 18 Millionen in den Jahren 2016 und 2017 zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zusätzlich zum Status quo einzusetzen.

Laut dem Beschluss dürften Kompetenzfragen und Finanzierungsstrukturen kein Hindernis sein – wie das in Österreich oft der Fall ist –, um den Ausbau von Hospizen und Palliative Care von 2015 bis 2020 umzusetzen. Trotzdem fehlen in Österreich (übrigens nach wie vor):

  • 129 Palliativbetten
  • 192 Stationäre Hospizbetten
  • 6 Tageshospize
  • 81 Palliativkonsiliardienste
  • 18 Mobile Palliativteams
  • 138 Hospizteams

Finanzierungsvorschläge für den Ausbau dieser Dienste wurden beigelegt. Auch die Bioethik-Kommission des Bundeskanzlers hat sich zeitgleich einstimmig und vehement für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung ausgesprochen. Auf Anfrage nach einer Stellungnahme von Werner Faymann hieß es kurz danach vonseiten eines Pressesprechers: „Es tut mir leid, der Herr Bundeskanzler kommentiert die Empfehlungen der Bioethik-Kommission nicht. Bitte wenden Sie sich direkt an die Kommission.“

Sich direkt an die Kommission zu wenden, hätte jedoch wenig Sinn gehabt, wenn man den Standpunkt des Bundeskanzlers einholen möchte. Wenn man erfahren möchte, was nach den Empfehlungen der Kommission nun konkret geschehen wird.

Nichts ist passiert

Zehn Monate danach lautet die Antwort: nichts. Zumindest bis dato. Status: nahezu unverändert.

Waltraud Klasnic, Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich, spricht von kleinen Bewegungen in drei Bundesländern. Das war es dann aber auch schon. All die großen Reden verhallt, all die Euphorie verpufft, all der Tatendrang gebremst und vor allem: all die Hoffnungen – enttäuscht. Keiner der empfohlenen Punkte wurde bis jetzt tatsächlich aufgegriffen und umgesetzt, wie zwei besonders eindrückliche Beispiele beweisen.

Punkt 13 beispielsweise sagt, dass eine Palliativkoordination eingesetzt werden soll – bis 30. September 2015. Es ist kein Vorschlag diesbezüglich eingelangt. Die Frist ist verstrichen.

Punkt 8 behandelt das Hospiz- und Palliativforum. Es sollte gegründet werden, um den Prozess der Umsetzung ständig zu begleiten und die Finanzierung sicherzustellen. Das Forum sollte sich unter anderem aus diversen Experten, zuständigen Ministerien, Ausschuss-Mitgliedern und involvierten Institutionen zusammensetzen. Der Plan war, sich regelmäßig zu treffen. Doch das Forum wurde nie einberufen.

So geht das Punkt für Punkt weiter. Die Regierung hätte längst handeln müssen. Gehandelt hat aber nur der Dachverband für Hospiz, allen voran die ehemalige ÖVP-Politikerin Waltraud Klasnic. Für den Idealfall werden fünf Jahre lang je 18 Millionen zusätzlich bis 2020 benötigt – für den flächendeckenden Ausbau in Österreich. Keine unzumutbare Summe.

Auf Nachfrage sagte das Gesundheitsministerium, dass im Bund allgemeine, nicht zweckgebundene Mittel im Umfang von 600 Millionen Euro bereitliegen. Die 18 Millionen, die für die Palliativ- und Hospizversorgung je für 2016 und 2017 von der Enquete-Kommission vorgeschlagen wurden, seien allerdings neue Empfehlungen und daher schlicht nicht budgetiert.

Was bedeutet der Stillstand?

Das bedeutet, dass alle im Hospiz-Bereich Tätigen weitermachen müssen wie bisher. Und das werden sie auch, obwohl die Situation sich nicht verbessert. Sie werden weiterarbeiten, mit Freude und Engagement. Das weiß die Politik. Die Hospizarbeit wird nicht schlechter werden. Sie soll aber besser werden. Ziel sollte sein, dass alle Menschen, die diese Versorgung brauchen und wollen, umgehend die Chance dazu haben.

Es geht um schwerkranke und sterbende Menschen. Und um deren Angehörige. Es geht um Menschen, die nicht jene Betreuung und Begleitung bekommen, die sie brauchen würden. Betrachtet man die Zahlen, so kann man grob sagen, wir liegen in Österreich etwa bei der Hälfte der benötigten Abdeckung in diesem Bereich. Die Wartelisten für stationäre Einrichtungen sind ein Hohn. Meist erleben die Patienten den Tag nicht mehr, an dem sie an der Reihe für ein Bett wären. Diese Menschen müssen dann zu Hause sterben.

Die andere Variante ist: Sie sterben im Krankenhaus, obwohl sie eigentlich eine spezialisierte Betreuung in einem Hospiz bräuchten. Auch für Angehörige und die weitere Trauerarbeit ist es relevant, wie jemand gestorben ist. Im Spital – schlimmsten Falles am Gang, im Vierbettzimmer oder in einer eigenen Einrichtung, die darauf geschult ist, auf die Bedürfnisse der Sterbenden einzugehen. In Hospizen wird zudem professionelle Trauerbegleitung für die Familie angeboten.

Und nun?

Am 1. September ging eine parlamentarische Anfrage durch die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein ein. Die Bundesregierung werde ersucht, den Empfehlungen der Enquete endlich nachzukommen. Dabei wurden ganz konkrete Fragen gestellt:

  1. Wann wird ein unabhängiger Hospiz- und Palliativkoordinator eingesetzt?
  2. Wurden hier bereits Verhandlungen aufgenommen?
  3. Wann wird ein Hospiz- und Palliativforum eingesetzt?
  4. Wurden hier bereits Verhandlungen aufgenommen?
  5. Wann wird ein Hospiz- und Palliativ-Care-Stufenplan gestartet?
  6. Wurden hier bereits Verhandlungen aufgenommen?
  7. Wann werden die jeweils 18 Millionen Euro für die Jahre 2016 und 2017 budgetär bereitgestellt?
  8. Wurden hier bereits Verhandlungen aufgenommen?

Im Oktober beantwortet Sozialminister Rudolf Hundstorfer die parlamentarische Anfrage. Mitte November wurde die Thematik in ein paar Sätzen in der Parlamentskorrespondenz erwähnt. Waltraud Klasnic und ihre Kollegen vom Dachverband haben unterdessen einen Brief verfasst und verschickt. An die Ausschussmitglieder, die zuständigen Ministerien und Institutionen, die Teil des Palliativforums sein sollen. Sie hofft auf baldige Rückmeldungen und Termine. „Es muss endlich etwas weitergehen“, meint sie. Aber erst einmal heißt es erneut: warten.

Doch das ist das einzige, was die Betroffenen nicht können.

Beitrag auf NZZ.ch

Kategorien:Geschichten

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