Ist der Arbeitsmarkt für Journalisten kaputt?

Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt kämpfen gegeneinander und werden stetig unattraktiver, die Meinungen dazu gehen allerdings auseinander. „So schlimm, wie es derzeit ist, war es noch nie“, sagt beispielsweise Franz Bauer, Präsident der Journalistengewerkschaft

Die Meldung, dass Presse- und Wirtschaftsblatt redaktionell zusammenrücken und dadurch 20 Kündigungen anfallen, hat die Branche nicht gerade erschüttert. Zu lange haben Journalisten bereits um die eigenen Jobs gebangt. Markus Mair, Vorstandsvorsitzender Styria Media Group, hat dazu  der „Presse am Sonntag“ in einem Interview gesagt: „Wir befinden uns in einem neuen Zeitalter, in dem die Frage erlaubt sein muss, was es heißt, effizient in einer Redaktion zu arbeiten“ und „es braucht einen vernünftigen Nenner zwischen journalistischen Inhalten und dem betriebswirtschaftlichen Rahmen.“ Ein Auszug der letzten Jahre: mehr als 20 betriebsbedingte Kündigungen im Hause Presse- und Wirtschaftsblatt bereits Ende 2012, Hasstiraden junger Journalisten, die sich gegen die privilegierten ‚Dinosaurier‘ im Geschäft auflehnen, unbeachtete Onlinejournalisten, die erst seit kurzem im Kollektivvertrag vorgesehen sind, ewiglange Praktikumsrundfahrten für Jungjournalisten, mehr als 600 Unterstützer eines offenen Briefs gegen die prekären Arbeitsverhältnisse, Kündigungen bei der Verlagsgruppe News, protestierende Onliner beim Standard, Personalabbau beim Kurier, Diskussionen um die prekäre Situation der freien ORF Mitarbeiter,  Sparprogramme bei APA und Kleiner Zeitung, ein kurzerhand aus budgetären Gründen aufgekündigtes Traineeprogramm des ORF – das ist der – auf den ersten Blick – wenig attraktiv anmutende Arbeitsmarkt Journalismus hierzulande.

„Der Arbeitsmarkt ist kaputt“

Ein aktuelles Beispiel, das den Zustand des Arbeitsmarktes ohne hinzufügen vieler Worte für viele in all seiner Tristesse sichtbar macht, sind die Reaktionen auf eine Stellenausschreibung des Magazins The Gap: Am 27. Jänner 2014 verfasste Herausgeber Thomas Weber einen Kommentar, der anschließend durch die bestürzte Branche geisterte. Man hatte einen Job im Kulturressort zu vergeben, „ein okay bezahlter Einsteigerjob mit Fixanstellung“. Mit zahlreichen Bewerbungen hätte er ja gerechnet, „mit mehr als 270 dann aber eben doch nicht. Und noch weniger damit, dass fast die Hälfte der Bewerber formal deutlich besser ausgebildet ist als das bestehende Kernteam“, gibt Weber zu. Sein Schluss: „An qualifiziertem Personal mangelt es nicht. An entsprechenden Arbeitsplätzen dafür umso mehr.“ Neben zahllosen talentierten Studienabgängern hätten sich auch etliche Szenegrößen für den Job interessiert. Webers Resümee: „Wir haben hiermit den empirischen Beweis dafür, dass der Arbeitsmarkt für Journalismus kaputt ist.“ Viel zu viele Menschen seien ausgebildet worden – am Arbeitsmarkt vorbei. Trotz massiver Zustimmung in den sozialen Medien, teilt diese Auffassung nicht jeder. Wenig beeindruckt von der Bewerberzahl zeigt sich beispielsweise Andy Kaltenbrunner, Mitbegründer des Medienhauses Wien, Journalist und Mitverfasser des Journalistenreports. „Das überrascht nicht. Auch nicht die Feststellung, dass viele der Bewerber formal deutlich besser qualifiziert waren als das Kernteam. Wenn halbwegs attraktive Jobs in der Branche angeboten werden, war das immer so.“

„Mit zwei Krisen konfrontiert“

Nach Auskünften des Arbeitsmarktservice (AMS) ist die Anzahl der arbeitslos gemeldeten Personen in der Berufsspartengruppe der Journalisten (Anm.: ohne Dolmetscher und Übersetzer) über die letzten Jahre hinweg stetig angestiegen. Waren es beispielsweise im Jänner 2009 noch 509 Betroffene und im Jänner 2013 624, so waren es 2014 im Jänner 655 arbeitslos gemeldete Journalisten. Bedenkt man, dass jene – vor allem jüngere – Redakteure, die prekär arbeiten und kaum Auskommen mit ihrem Verdienst finden, in diesen Zahlen nicht enthalten sind, dass wir von einer Branche sprechen, in der diesen 655 Arbeitssuchenden gerade einmal eine Handvoll Jobausschreibungen gegenübersteht und dass jährlich weitere hunderte Absolventen hinzukommen, dann wirkt diese Zahl erstens gar nicht mehr so gering und zweitens erkennt man, dass der Markt mit mehreren Problemen zu kämpfen hat. „Wir sehen uns mit zwei Krisen konfrontiert: einer Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen wir immer noch spüren, und einer Strukturkrise. Die Strukturkrise, die wir nun erleben, einerseits durch Onlineangebote oder Gratismedien, ist eine eigene Geschichte. Noch niemand weiß, wie sie sich langfristig auswirken wird.“, sagt Franz Bauer, Präsident der Journalistengewerkschaft (GPA-djp).  Bauer meint, der Output der vielen einschlägigen Bildungseinrichtungen sei einfach zu groß, „der Markt nimmt das niemals auf.“ Klar ist für ihn, dass bei einem derartigen Überangebot an Journalisten, der Markt immer wieder mit Problemen konfrontiert sein wird. „So schlimm, wie es derzeit ist, war es noch nie“, sagt er beunruhigt.

„Vollkommener Wahnsinn“

Der Markt ist für Bauer nicht kaputt, sondern asymmetrisch, „und natürlich versuchen Unternehmer das zu ihren Gunsten zu nutzen, also vollkommen logische Entwicklungen des Marktes“, führt er weiter aus. „Was wir beobachten ist, dass es schwieriger geworden ist, soziale Mindeststandards durchzusetzen. Man sollte bei den Gesetzen mehr tun, denn auch diese sind teilweise lückenhaft. Wir sprechen beispielsweise gerade über die Erneuerung der Presseförderung, das sind alles Hebel, die der Gesetzgeber nutzen muss.“, so Bauer. Das Überangebot an Bildungseinrichtungen für Medienberufe ist für ihn ein absolutes Fehlleiten von Ressourcen und ein sinnloses Weiterverstärken einer bereits vorhandenen Asymmetrie und „vollkommener Wahnsinn“. Anders sieht das Kaltenbrunner, für ihn sind die Ausbildungen unabdingbar, „wenn sich die Branche nicht selbst aufgibt. Entscheidend sind die Inhalte. Gerade im Medienbereich gehören die Programme laufend überarbeitet, modernisiert, es gehört noch viel mehr internationalisiert und Journalismus mit aktueller Forschung unterfüttert.“  Wenn Programme nur abbilden, was manche Chefredakteure als pflegeleichte Reproduktion ihrer eigenen Traditionen und Gewohnheiten hätten, dann seien sie tatsächlich überflüssig. Auch er ist nicht der Meinung, dass der Arbeitsmarkt kaputt ist, „aber viele klassische Medien sind es. Sie schaffen den Transfer in die mediale Neuzeit nicht – und in solchen Unternehmen werden die Jobs entsprechend weniger.“ Dieser internationale Prozess werde jetzt auch im lange gut geschützten Österreich deutlich und das verändere die Berufssituation wesentlich. „Es entstehen laufend mehr spannende Aufgaben und digitale Betätigungsfelder für Journalisten. Es ist nur keineswegs ausgemachte Sache, dass sich solche Innovationen und die neuen Businessmodelle innerhalb der bestehenden Medienstrukturen entwickeln. Oft werden sie dort eher im Gegenteil durch Kräfte der Beharrung be- und verhindert“, sagt Kaltenbrunner.

Solide Ausbildung muss sein

Ähnlich sieht das VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger. Bisherige Geschäftsmodelle, wie im Einzelhandel, der Musikindustrie oder den Reisebüros, würden durch das Internet vor neue Fragen gestellt. So ginge es auch den klassischen Medien und dem Journalismus. „Wenn die Umsätze der Medien sinken, wird dadurch auch der Platz am Arbeitsmarkt für Journalisten enger. Zusätzlich werden die Anforderungen für Journalisten größer: Ein Redakteur muss nicht nur das journalistische Handwerk einwandfrei beherrschen, sondern braucht ein technisches Verständnis für den Online-Bereich und ein fundiertes Wissen in unterschiedlichen Bereichen, um für die veränderten Anforderungen im Journalismus gerüstet zu sein.“ An einer soliden Ausbildung für Journalisten führt für Grünberger also auch in Zukunft kein Weg vorbei. Für angehende Journalisten sei es wichtig, sich zu spezialisieren. „Zum Beispiel im Bereich des Datenjournalismus. Wir wissen, Online-Redaktionen, die ihren Lesern nur „Drag-and-Drop“-Agenturmeldungen bieten, können dafür vom Konsumenten mit keiner Zahlungsbereitschaft rechnen. Für spezialisierte qualitativ hochwertige journalistische Angebote in den Nischen gibt es jedoch auch in Österreich ein zahlungsbereites Klientel“, sagt Grünberger. Er bleibt aber realistisch, denn „damit wird man sicher nicht den vielen Studienanfängern, die im Oktober 2013 ein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften inskribiert haben, einen Job im Journalismus sichern können, diese werden vielfach in anverwandte Berufszweige ausweichen müssen.“ Er verweist auf eine positive Veränderung. „Durch den neuen Kollektivvertrag im vergangenen Jahr konnten wir mehr als 400 vorwiegend jungen Journalisten (Anm.: oft im Online-Bereich) bessere Arbeitsbedingungen bieten.

„Ein Drittel will in den Journalismus“

Das Wiener Publizistik-Institut entsendet jährlich 500 Bachelors und 200 Masters in die publizistische Arbeitswelt. Ein Drittel wolle in den Journalismus, ein Drittel in die PR und ein Drittel in die Werbung. Dieses Verhältnis sei schon seit Jahren so und habe sich durch die Entwicklungen am Markt nicht sonderlich geändert, erklärt Studienprogrammleiter Klaus Lojka. Für ihn ist es besonders wichtig, den Studierenden einen ernüchternden Realitätsausschnitt zu vermitteln. „Sie sollen erkennen, wie die Medienwelt in Österreich aussieht und einen gesunden Realismus dafür entwickeln.“ Zudem sei die Veränderung des Berufsbildes nicht unbeachtlich. „Die Studierenden wollen keine Anchormen und Korrespondenten mehr werden, so wie das früher war. Durch die Differenzierung des Jobs entwickeln sich die Multimedia-Berufe sehr stark, darauf nehmen wir bei der Ausbildung Rücksicht.“ Der klassische Weg werde immer weniger nachgefragt. „Wir bilden nicht am Markt vorbei aus, aber wir sind bestrebt, den Jungen bewusst zu machen, dass es viele prekäre Verhältnisse gibt“, so Lojka. In diesen schwierigen Zeiten ist das Publizistik-Studium – im Gegensatz zu den anderen Journalismus-Ausbildungen hierzulande – für ihn sogar ein Vorteil. „Wenn man eine breite, nicht spezialisierte Ausbildung hat, ist man flexibler einsetzbar.“

 „Nicht akzeptabel“

Naturgemäß anders sieht das Nikolaus Koller, Institutsleiter Journalismus und Medienmanagement an der Fachhochschule Wien, an der pro Jahr rund 30 Studierende jeweils für den Bachelor- und Master für entsprechende Medienberufe aufgenommen werden. Ab Herbst 2014 wird das Studienprogramm um den berufsbegleitenden Lehrgang „Content Produktion & Digitales Medienmanagment“ sogar erweitert. Für ihn sind Journalismus-Absolventen von FHs klar gegenüber Uni-Absolventen im Vorteil. „In schwierigen Zeiten sind keine theoretischen Generalisten, sondern Menschen mit Praxis-Erfahrung gefragt. Davon bringen unsere Absolventen weitaus mehr mit als der durchschnittliche Publizistik-Absolvent.“ Dass die Institutionen am Arbeitsmarkt vorbei ausbilden, findet auch er nicht. „Natürlich wäre es jedem Arbeitgeber am liebsten, jeden Berufseinsteiger von der ersten Stunde an voll einsetzen zu können. Dies ist allerdings – nicht nur im Journalismus – nur in den wenigsten Bereichen wirklich der Fall.“ Speziell der Arbeitsmarkt für journalistische Berufseinsteiger sei in einer Umbruchphase.  „Ja, es ist sicherlich derzeit nicht leicht. Aber: Ein Teil des fehlenden Angebots bei großen Unternehmen kann durch kleinere Medienunternehmen, denen es weiterhin nicht schlecht geht, durch die Konvergenz neu am Markt befindlicher Player oder auch durch journalistische Gründungen abgefangen werden“, sagt der ehemalige Karriere-Journalist Koller Mut erweckend, aber trotzdem: „Leider finden sich gerade für Berufseinsteiger viel zu oft nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Das ist nicht akzeptabel.“

Das „Überangebot“

Es gibt viele Wege in den Journalismus und vor allem gibt es hierzulande viele entsprechende Ausbildungen: Da wären die drei Publizistik-Institute der Universitäten in Wien, Klagenfurt und Salzburg, die durch – wenn auch umstrittene -Aufnahmebeschränkungen bereits die Notbremse gezogen haben. Fachhochschulen, die für Medienberufe ausbilden, gibt es in Wien, in St. Pölten oder auch in Graz. Zudem gibt es unterschiedliche Lehrredaktionen, auch die Donau-Uni Krems bietet eine Journalismus-Ausbildung an. Hinzu kommen die oberösterreichische Journalistenakademie und das Kuratorium für Journalistenausbildung. Dazu wiederum kommen jene Studierende, die zuerst ein Fachstudium, wie beispielsweise Politikwissenschaften, Jus oder Wirtschaft belegen und so in den Job einsteigen. Trotz der vieldiskutierten prekären Arbeitsbedingungen werden weiter Journalisten ausgebildet. Mehr denn je.

Streift man durch die Gänge des Publizistik-Instituts, kann man das durch Angst verstörte Drittel nicht erkennen. Einer davon ist der 25-jährige Harald. „Mich persönlich schrecken die Arbeitsbedingungen nicht ab. Außerdem sieht es in anderen Branchen auch nicht viel besser aus. Vielleicht muss man sich auch generell von der Vorstellung einer Fixanstellung verabschieden – was ich nicht nur negativ sehe, weil sich daraus auch Möglichkeiten und Freiheiten ergeben.“ Von einer Fixanstellung verabschiedet hat sich jedenfalls einer für lange Zeit. Thomas Weber will aufgrund des massiven und fast nicht bewältigbaren Ansturms so schnell jedenfalls keine derartige Stelle mehr ausschreiben.

(Horizont, 9/14)

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